Wissenschaftsgeschichte
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Doppelvortrag: Hanna Worliczek/Stefan Probst (Wien)

Bildpraktiken der Biowissenschaften im 20. Jahrhundert

12.01.2017 16:00 Uhr – 18:00 Uhr

wann: Donnerstag, 12. Januar 2017, 16-18 Uhr

wo: Historicum, Schellingstr. 12, Raum K026

Vortrag im Rahmen des Oberseminars "Perspektiven der Wissenschaftsgeschichte"

Hanna Worliczek (Wien): Bilder des Zytoskeletts: Wie (neue) bildgebende Verfahren ein Forschungsobjekt verändern


Der Beginn der Erforschung des Zytoskeletts – jenen Bestandteilen der Zelle, die ihr Struktur geben, für Bewegung verantwortlich sind, und auch eine wesentliche Rolle bei der Zellteilung spielen – lässt sich auf die 1920er-Jahre datieren. Bis in die frühen 1970er-Jahre blieb diese allerdings marginal. Erst 1974, mit einer Publikation von Elias Lazarides und Klaus Weber, die am Cold Spring Harbor Laboratory in New York entstand, setzte eine Konjunktur der Zytoskelettforschung ein, die gleichzeitig zu einer Renaissance der Lichtmikroskopie in der Zellbiologie führte. Dieser neue Forschungsbereich wurde als so zentral angesehen, dass er von einem Mitglied der American Society for Cell Biology als eines von wenigen thematischen „Monopolen“ dieser wissenschaftlichen Gesellschaft bezeichnet wurde.
Der entscheidende Faktor für diese Veränderung der zellbiologischen Forschungslandschaft war die Etablierung der Fluoreszenzmikroskopie als bildgebendes Verfahren für subzelluläre Strukturen: mittels spezifischer Antikörper gegen Proteine des Zytoskeletts und daran gebundene fluoreszierende Farbstoffe brachte die Fluoreszenzmikroskopie eine neuartige Form von visuellem Wissen hervor. Im Gegensatz zur Elektronenmikroskopie, die bis dahin die Zellbiologie dominierte, konnte die Proteinzusammensetzung der Feinstrukturen von Zellen erstmals in situ dargestellt werden, und damit die von George E. Palade 1967 entworfene zukünftige Hauptaufgabe der Zellbiologie umgesetzt werden: die „Erforschung der molekularen Architektur von elementaren biologischen Strukturen“. Wie sich das Forschungsobjekt „Zytoskelett“ und das Wissen darüber abhängig von innovativen bildgebenden Verfahren veränderte, ist Thema dieses Vortrags. Als Quellen dienen vor allem zellbiologische Lehrbücher, Originalpublikationen, aber auch Tagungsprogramme und Interviews mit Forscher_innen.

 

Stefan Probst (Wien): Mikro-Zeitlupe, Narcotica, Strömungsbilder: Praktiken der Sichtbarmachung im zoologischen Labor der 1920er Jahre


Mikro-Zeitlupe, Narcotica, Strömungsbilder. Praktiken der Sichtbarmachung im zoologischen Labor der 1920er Jahre.
In der Zwischenkriegszeit wurde die Hochfrequenz-Mikrokinematographie in biowissenschaftliche Experimentalanordnungen eingespannt, weil sie die Sichtbarmachung schneller Bewegungsabläufe und außerdem ein erhöhtes Maß der Kontrolle und Manipulation der Zeitlichkeit lebendiger Phänomene versprach. Der Evidenzcharakter der kinematographisch erzeugten Bilder wurde jedoch keineswegs selbstverständlich akzeptiert. Anhand einer eng umrissenen fachwissenschaftlichen Debatte aus dem Bereich der funktionellen Morphologie der 1920er Jahre soll gezeigt werden, wie sich der Einsatz des Films als Forschungsinstrument gegen konkurrierende Praktiken, Beobachtungsmodi und wissenschaftliche Selbstbilder behaupten musste. Den mikrokinematographischen Zeitlupenstudien des österreichischen Zoologen Otto Storch zur Bewegungsphysiologie planktonischer Kleinkrebse standen Versuche des schwedischen Limnologen Sten Erikssen gegenüber, der den Bewegungsablauf beobachtbar machen wollte, indem er den Tieren Narcotica verabreichte; der britische Zoologe Graham Cannon wiederum experimentierte mit Lösungen gefärbter Stärkekörner, um den Strömungsverlauf des Wassers durch den Filterapparat der Kleinkrebse sichtbar zu machen, und erprobte zudem protokinematographische Beobachtungssettings, die Mikroskop und stroboskopische Lichtquelle kombinierten. Inwiefern Storchs Filmaufnahmen in der fachwissenschaftlichen Debatte als visuelle Evidenz akzeptiert wurden und zur Stabilisierung seiner theoretischen Konzeption beitrugen wird im Vortrag erläutert.
_________________________________________
Stefan Probst hat Geschichte an der Universität Wien studiert, Hanna L. Worliczek ist promovierte Mikrobiologin. Beide sind ist derzeit Fellows im Doktoratskolleg The Sciences in Historical, Philosophical and Cultural Contexts am Institut für Geschichte der Universität Wien.


Servicebereich